Berliner Freunde der Völker Russlands e.V.
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Cilly Keller: Als Studentin im Kaukasus

17/1/2015

 
"Es waren keine leichten Prüfungen in jenem zweiten Studienjahr, am Ende des vierten Semesters 1974. Zwar hatte ich mich schon etwas an den Stress von jeweils fünf Examen nach jedem Semester gewöhnt, dennoch fiel es besonders in den Monaten Mai und Juni immer wieder schwer. Die Sonne wollte tagsüber zum Baden am Finnischen Meerbusen verführen, und nachts standen die weißen Nächte vor dem Fenster und luden zu einem Spaziergang an der Newa ein. Aber stattdessen büffelte man mit den Kommilitonen auf der Bude für die Prüfungen in Fächern wie Werkstoffkunde, Theorie der Übergangsprozesse in Hochspannungsfreileitungen, Relaisschutz in Energiesystemen usw."

Cilly Keller, Jahrgang 1953, Diplom-Ingenieur, Mitglied im Verein der Berliner Freunde der Völker Russlands e.V. erzählt über Erlebnisse während ihrer Studienzeit in der Sowjetunion und von späteren Freundschaften in Russland. 
Aber auch das war irgendwann geschafft, und der Mensch, das heißt ich, brauchte Abwechslung für Geist und Körper. Viele der DDR-Studenten des Leningrader Polytechnischen Instituts, das den Namen Kalinin trug, fuhren nach Hause. Ich nutzte meine Ferien oft um das Land Sowjetunion und seine Menschen kennen zu lernen.
 
Was lag nun näher als die Teilnahme an einem der internationalen Studentenlager. Ljuba Semitschenkowa, mit der ich das Zimmer im Wohnheim teilte, organisierte im Auftrag der Komsomolleitung des Wyborger Stadtbezirks Leningrads Baubrigadeneinsätze. Sie verhalf mir zusammen mit Studenten des Leningrader Staatlichen Pädagogischen Instituts Alexander I. Herzen, mit angehenden Ärzten aus Vietnam und ungarischen Studenten des Radiotechnischen Instituts gen Süden zu fahren, in das Gebiet um Stawropol. Ich erhielt eine kleine rote Klappkarte mit der Aufschrift „Komsomolskaja putjowka (Komsomolauftrag – die Red.) 1974 – Allrussische Studentenbaubrigade 17. Komsolmolkongress“. 
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Begrüßung der Teilnehmer
Unsere Studentenbrigade trug den wunder-schönen Namen HELIOS – die Sonne, MALCHA in einer der Kaukasussprachen. Ein ganzer Zug mit Studenten fuhr Richtung Stawropol, einige stiegen bereits in Jessentuki aus, sie sollten beim Straßenbau helfen. Unser Zielort war das Dorf Gornosawodskoje, ungefähr 50 Kilometer von Naltschik, der Hauptstadt Kabardino-Balkarien und nur 90 Kilometer vom 5633 Meter hohen Elbrus entfernt.

Der Juli im Jahr 1974 war heiß, und es war ratsam, den Empfehlungen der Lagerleitung zu folgen und Beine und Arme in den ersten
Tagen vor der Sonne zu schützen, indem man bei der Feldarbeit Jacke und Hose trug. Jeder hatte eine wetterfeste Jacke und eine Hose erhalten, khakigrün. Die Rückseite der Jacke zierte später das Logo unserer Baubrigade. Die Arbeit im Juli bestand im Gurkenernten. Die Truppe, die im August noch blieb, hatte etwas süßere Früchte – Melonen - von den Feldern zu holen. Die Arbeit machte Spaß und schmutzige Hände, die wir aber mit Gurkensaft am besten reinigten.

Wir wohnten in der Dorfschule, die Kinder hatten ja den zweiten Monat Ferien. Metallbetten mit super weicher Federung und zwei Bettlaken, eins um darauf zu liegen, das andere zum Zudecken gedacht, … aber es war viel zu warm
…

Für die Essenzubereitung mussten wir selbst sorgen, daher gab es eine Küchenordnung, die vorsah, dass jeder einmal mit Kartoffelschälen an der Reihe war. Es gab sogenannte „Tage der Länder“, was bedeutete, dass ein ganzer Tag vom Frühstück über Mittagessen und Abendbrot, nebst Abendkulturveranstaltung von den vietnamesischen, den ungarischen, den russischen Studenten oder von der einzigen Studentin aus der DDR gestaltet werden musste. Aber das bekam ich mit Nudelsalat und Würstchen zum Mittag und am Abend mit Sologesang auf die Reihe, jedenfalls waren die Leute begeistert und satt.

Die Atmosphäre im Lager war prima, man lernte sich langsam kennen und fand Freunde. Mein besonderes Interesse erweckte Kolja, Nikolai Schtschepin. Er war zuständig für Fotografie und Wandzeitungsgestaltung. Seine Fotos waren immer am Folgetag auf einer Tafel ausgehängt. Auch ich fotografierte gern und so erschienen auch meine Fotos am Brett. Koljas künstlerische Qualitäten zeigten sich jedoch auch in der Malerei. Er hat wunderschöne Ölbilder gemalt. Und so saßen wir eines Tages gemeinsam vor einem Sonnenblumenfeld und malten, er mit Farbe, ich mit Bleistift, und zwischendurch wurden Sonnenblumenkörner entspelzt - die Körner gegessen, die Spelzen so weit wie man konnte ausgespuckt. Eine Tätigkeit, die sich einprägte, und die auch heute noch Spaß macht, aber man sollte auf dem Lande sein, der ausgespuckten Spelzen wegen. Mein Kontakt zu Kolja sollte mir später helfen, als einzige ausländische Studentin zusammen mit sowjetischen Studenten an einer zweitägigen Exkursion teilnehmen zu dürfen. Wir fuhren direkt in die kaukasischen Berge, unser Ziel war der Elbrus. Die Kabardiner nennen ihn Oschchamacho - den Berg des Glücks.
Bild
Am Fuße des Elbrus
Großvater Oschchamacho’s
Papacha glitzert vom Schnee, 
grüßend das Volk
Heilung und Genesung versprechend.
Seit ewigen Zeiten schlafen 
in Wolken, wie in eine Burka gehüllt, 
friedlich Asau und Kugut-Tau, 
und liebevoll behütet von Väterchen Elbrus 
thronen Schcheldu und Uschboi.

Ali Schogenzukow 
Das Kaukasusgebirge, das die Landenge zwischen Schwarzem und Asowschem Meer durchzieht, beeindruckt mit scharfkantigen Kämmen von bis zu viertausend Metern Höhe, tiefen felsigen Schluchten, schäumenden Gebirgsbächen und blumigen Hochlandwiesen. Ich hatte die Möglichkeit, mit einigen Menschen der über vierzig im Kaukasus lebenden Völker Bekanntschaft zu schließen. Aus den zahlreichen Gesprächen erfuhr ich sehr viel Neu-es von ihrer doch sehr alten Kultur. So stellte ich fest, dass der an den Kaukasusfelsen gefesselte Prometheus der griechischen Sage in den mündlichen Überlieferungen der Kaukasuslegenden ebenso existiert, hier aber den Namen Pcharmat trägt. Meine Freunde erzählten mir, dass im Altertum in den Bergregionen ein Sonnenkult herrschte, ein heidnischer Glaube, der in Spuren bis heute im Glauben der Menschen, neben dem muslimischen Glauben erhalten geblieben ist.

Die Eindrücke von dieser Fahrt, von den steilen Schluchten links oder rechts der Straße, die Straße war teilweise direkt in den Fels gehauen, von den reißenden Bergflüssen und -bächen, von den schneebedeckten Gipfeln des Kaukasusmassivs und von dem Sonnenaufgang waren überwältigend. So etwas hatte ich noch nie gesehen, und das Bild prägte sich tief ins Gedächtnis ein.

Unser kleiner Bus fuhr auf der Hin- und Rückfahrt durch Naltschik, der Hauptstadt von Kabardino-Balkarien, kaberdinisch: Kebertej-Balker. Im Jahr 1917 waren 98 Prozent der hiesigen Bevölkerung Analphabeten, im Jahr 1970 dagegen nur noch 0,3 Prozent.

Bei einer kurzen Fahrpause wurde ich mit drei netten Jungs, Chakim Temirschanow und Wladimir Zrawu aus dem Dorf Sowjetski und Suleiman Kabardonow aus dem Dorf Babugent, bekannt. Mit Interesse vernahmen sie, dass eine Studentin aus der DDR unter den Studenten war, und ich kam schnell mit ihnen ins Gespräch. Sie schenkten mir zum Ab-schied spontan das 1971 erschienene Buch „50 Jahre Kabardino-Balkarien“ mit der Widmung: „Zur Erinnerung für das Mädchen Zilli von den Gorzy (Bergbewohner – die Red.) Suleiman, Chakim und Wladimir“.
 
Keiner dieser drei und auch ich konnten 1974 erahnen, dass rund 30 Jahre später Krieg sein würde im Kaukasus, Krieg auch in Kabardino-Balkarien."
Cilly Keller, Als Studentin im Kaukasus
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