Berliner Freunde der Völker Russlands e.V.
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Leibniz´ Russlandarbeit

13/3/2010

 
Vortrag von Vorstandsmitglied Marga Voigt als Auftakt unserer Mitgliederversammlung 2010 im 65. Jahr der Befreiung vom Faschismus
Liebe Freunde, liebe Gäste unserer Mitgliederversammlung,

ich habe meinen Vortrag Leibniz’ Russlandarbeit genannt und widme ihn der Theologin Liselotte Richter (1906-1968), der ersten Frau in Deutschland, die auf eine Professur für Philosophie berufen wurde.

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) erkannte die welthistorische Dimension, als Russland in der Person des Zaren Peter I. in das neuzeitliche Staatssystem Europas eintrat, und er damit das Feld der europäischen Politik betrat. Der universale Geisteswissenschaftler und bedeutende Philosoph Leibniz beobachtete mit Begierde des Zaren Auftreten in Europa und sah mit seinem besonderen Blick für die Zusammenschau der Weltereignisse neue Aufgaben für den Westen und den Osten. Leibniz knüpfte hochgespannte Erwartungen an des Zaren Natürlichkeit und geistige Aktivität und seinen festen Willen, alles „selbst von unten auf“ zu lernen. Dies war für Leibniz Ausgangspunkt langjähriger und intensivster geistiger Bemühungen, in denen alle Forschung, ja sein Lebenswerk eine neue Zielsetzung erfuhr und einen Zuwachs an Wirksamkeit. Mit diesen Gedanken führt die Leibniz-Forscherin Liselotte Richter in ihr Werk Leibniz und sein Russlandbild ein.

Sie stellt uns einen Leitfaden von Leibnizens Hand vor. Der ist in den Leibnizhandschriften der Bibliothek zu Hannover zu finden und wird in der Abteilung Russland unter dem Stichwort Russlandtätigkeit aufbewahrt. Wie Leibniz sich selbst ausdrückt, hat er in seinem Blick nicht das private Interesse oder das seiner Nation, sondern das „gemeine Beste aller Völker“, damit das russische Reich und die russische Nation alle Vorteile der andern erlangen möge und das menschliche Geschlecht um „so viel verbessert werde“.

Leibniz dachte an eine „Encyclopädie oder gründlichen und netten Begriff aller Wissenschaften“ ins Russische bringen zu lassen, eine Bibliothec, an Cabinette der Natur und Künste, an Modelle und Instrumente handwerklicher Meisterschaft, an Observatorien der Sterne, der Geographie und der Schifffahrt und an Laboratorien. Er dachte an Druckereien, ein Bücherwesen, die Einrichtung gemeiner Schulen, Gymnasien, Academien, Hoher Schulen und nicht zuletzt an alle Sprachen des Zarenreichs und der angrenzenden Lande. So einen Plan gedachte Leibniz Zar Peter zu und bereitete eine persönliche Begegnung mit dem russischen Zaren vor. 

Leibniz sah im neuen Russland die große Möglichkeit zur Verwirklichung all seiner erstrebten Lebensaufgaben: Er trachtete, in einem schöpferischen Neuanfang einer vernunftgemäßen Planwirtschaft das Ideal der modernen Weltkultur zu realisieren, ohne die „Hemmungen der geschichtlichen Zwangsabläufe“ des alten Europas in der Enge ihrer Kleinstaaten und der „in ihren Mitteln und Gesichtspunkten beschränkten Fürsten“. In Zar Peter aber sah Leibniz den unerhörten Enthusiasten beim Neubau eines „jugendfrischen Staates“, dessen Reichweite ein Sechstel der Erdoberfläche umfasst.

Von Liselotte Richter erfahren wir, was Leibniz’ Russlandarbeit beflügelte: Er verstand sein Wirken als Dienst am Menschengeschlecht, als humanitäre Bewährung. Dem ging zuvor die Wandlung des Religiösen aus dem Dogmatischen in das Humanitäre voraus. Leibniz erstrebte eine vernunftbestimmte Sittlichkeit und stellte damit den wissenschaftlichen Fortschritt in den Dienst am menschlichen Geschlecht. As Philosoph und Wissenschaftler gelingt es ihm, ein einzelwissenschaftliches Thema, z. B. die Ermittlung der geschichtlichen Beziehung der slawischen Völker zu den übrigen Völkern Europas auf dem Weg der vergleichenden Sprachforschung als einen Baustein zu begreifen und auch staatswissenschaftliche und organisatorische Aufgaben, wie z. B. die Gesetzgebung und die Volksbildung, als Schritte zu sehen, auf dem Weg zu seinem großen Endziel, einem weltumspannenden Geistesreich.

Als an der Königlich Preußischen Societät der Wissenschaften zu Berlin konfessionelle Missionsinteressen in Russland verfolgt werden sollten, hielt Leibniz dagegen, Mission in seinem Sinn als Wissensausbreitung und Forschung zu betreiben, um dem russischen Reich wie den Zwecken der Wissenschaft zu dienen. Leibniz’ Missionspläne beruhten auf dem Austausch der Wissenschaften.

Leibniz’ Russlandarbeit bezeugt den geistesgeschichtlichen Wandel seines Gottesbegriffs, der dem Gedanken einer neuen Humanitas und Völkerfreundschaft folgt, schreibt Liselotte Richter und legt ihr Augenmerk auf den Gedanken Leibniz’: Das Aufblühen der Wissenschaften und Künste unterscheidet die Humanität von der Bestialität und fördert die schöpferische Synthese für eine fruchtbare Lebenseinheit anstelle von Absplitterung und Isolierung bestimmter Nationen, Kulturen und Völkerkreise. 

Feindseligkeit, also dem Entweder-Oder vermochte Leibniz ein gerechtes Sowohl-als-Auch entgegenzusetzen. Auf politischem Gebiet stellte Leibniz sein Wirken in den Dienst des Strebens nach der Synthese der Völker und Kulturen: Für Europa sah Leibniz den Weg der Wiederherstellung des Gleichgewichts der Kräfte in einem Bund des Reiches mit dem aufstrebenden Russland.

Und Liselotte Richter führt weiter aus: „Aber über Europa hinaus erstrebt (Leibniz) die weltumspannende Synthese des abendländischen mit dem morgenländischen Kulturkreise. Und Mittler und einigende Kraft in diesem gewaltigen Plan ist Russland. ... in dem Landweg durch Russland (erkennt Leibniz) die Verbindungslinie von West und Ost. Deshalb wird er nicht müde, an Peter den Großen immer wieder Hinweise und Materialien für diese Idee zu senden.“

Leibniz sah also das junge aufstrebende Russland als Mittelglied zwischen zwei alten Kulturen, mit den Möglichkeiten beider. Mit großem, ja jugendlichem Enthusiasmus ging er an seinem Lebensabend daran, anhand des Eintritts Russlands nach Europa, die Vervollkommnungsideen in seinem Lebenswerk neu zu fassen. Zar Peter und dem russischen Reich erkannte er die Ehre zu, die Aufgabe eines weltumspannenden Geistesreiches für die Entwicklung der Menschheit zu leisten. Leibniz bietet dem Zaren nicht nur den Ertrag seiner reichen Lebensarbeit, sondern auch die Mitarbeit der Königlich Preußischen Societät der Wissenschaften: „Solche Societät zu Berlin hat der König auf meine Vorschläge fundiert und habe ich solche Anstalt dabei an Hand gegeben, dass sie dem König fast nichts zu unterhalten kostet, viel besser aber könnt nicht nur dergleichen, sondern ein weit mehreres Eurer Großen Czarischen Majestät großem Land geschehen und – bald zur Sachetat werden.“ 

Und Leibniz fügt hinzu: „Ich werde es mir vor die größte Ehre, Vergnügen und Verdienst schätzen, Eurer Großen Czarischen Majestät in einem so löblichen und gottgefälligen Werke dienen zu können; denn ich ... gehe auf den Nutzen des ganzen menschlichen Geschlechts, denn ich halte den Himmel für das Vaterland und alle wohlgesinnte Menschen für dessen Mitbürger und ist mir lieber bei den Russen viel Gutes auszurichten, als bei den Deutschen oder andern Europäern wenig, wenn ich gleich bei diesen in noch so großer Ehre, Reichtum und Ruhe sitze, aber dabei andern nicht viel nutzen sollte, denn meine Neigung und Lust geht aufs gemeine Beste.“ 

Leibniz begegnete seinem ersehnten Helden dreimal. „Héroique“ nannte Leibniz nur wenige Persönlichkeiten, bei denen er meinte, sein Philosophenziel des „Gemeinen Besten“ der Menschheit verwirklicht zu sehen: „Eure Große Czarische Majestät wird durch solche Heroische Vorhaben unzähliger nicht nur jetziger, sondern auch künftiger Menschen, insonderheit aber den Russen und allen andern slavonischen Nationen zu Nutz und zu Statten kommen...“. Das erste Mal traf Leibniz den Zaren im Sommer 1711: Zar Peter verheiratete seinen Sohn, Zarewitsch Aleksej, mit der welfischen Prinzessin Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel. Die Hochzeit fand in Torgau an der Elbe statt. Später traf Leibniz den Zaren noch zweimal während Kuraufenthalten: 1712 in Karlsbad und vier Jahre später in Pyrmont. Nach den persönlichen Begegnungen künden Leibniz’ Schriften ausschließlich von Freude und Befriedigung.

Beinahe zwei Jahrzehnte arbeitete Leibniz unermüdlich an seinen vielfältigen Plänen für die Aufrichtungen der Wissenschaften und Künste im Russischen Reich – ein Workoholiker – und in immer ausführlicherer Form gab er seine Denkschriften zur „fleißigen Bewerkstellung“ an des Zaren Hof weiter – wahrlich ein humanitärer Einsatz! Für Leibniz ist Russland die Mitte zwischen China und Europa, und Deutschland und Berlin sind die Mitte zwischen Westeuropa und Russland. Und in dieser Mittelstellung verwirklicht sich für ihn ein fruchtbares Geben und Nehmen im Aufschwung einer lebendigen wissenschaftlichen und kulturellen Aufwärtsentwicklung.

Leibniz selbst weilte nie in Russland. Doch trat er nach der Torgauer Audienz in russische Dienste, denen der Zar „mit einer ungeheuren Generosität begegnet“, mit „1000 Albertustalern“ jährlich, wie Leibniz notierte. Als bleibendes Zeichen seiner Lebensarbeit für Russland aber hinterlässt Leibniz seinem Nachfolger Laurentius Blumentrost dem Jüngeren den Auftrag der Gründung der russischen Akademie in St. Petersburg. Ihr feierlicher Gründungsakt wurde im Dezember 1725 begangen. 1728 entdeckte Vitus Bering die Wasserstraße zwischen Asien und Amerika. Noch im 18. Jahrhundert, unter Katharina der Großen, erlebte die vergleichende Sprachwissenschaft einen Aufschwung. Und Alexander von Humboldt hat einen Vorschlag von Leibniz wieder aufgenommen: Er richtete zu Anfang des 19. Jahrhunderts feste Messstationen zur Untersuchung der Deklination des Magnets ein, ein Wissenschaftsgebiet, „woran auch bei der Schifffahrt viel gelegen“, womit Leibniz auf besonderes Verständnis beim Zaren hoffte.

Auf den gesellschaftlichen und tagespolitischen Hintergrund von Liselotte Richters Leibniz-Schrift machte mich der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Günter Wirth aufmerksam. Er erwähnt die Schrift in seinem Aufsatz „Über die intellektuelle Vorgeschichte der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik“ – in dem eben bei Karl Dietz erschienenen Band: DDR-Geschichte: Bilder und Zerrbilder – als er auf die Wiedereröffnung der ehemals Preußischen Akademie der Wissenschaften als Deutsche Akademie der Wissenschaften im Sommer 1946 zu sprechen kam. Eben zu gleicher Zeit veröffentlichte die Theologin Liselotte Richter ihre Leibniz-Schrift. In ihr, so erfuhr ich von Wirth, ging es „um die Begegnung von Ost und West, wie sie sich eindrücklich in Peter dem Großen personifizierte“. Und die Schilderung des Besuchs von Zar Peter in Torgau erschien 1946, so meint Wirth, „als historisches Spiegelbild jener legendären Begegnung sowjetischer und amerikanischer Soldaten in der Elbestadt im Zeichen des Sieges der Antihitlerkoalition“. 

„Leibniz und sein Russlandbild“ erschien 1946 als erstes Buch des Akademie-Verlags, ein Jahr nach Kriegsende. Heute zählen wir das 65. Jahr. Leibniz’ Russlandarbeit vor mehr als 300 Jahren bezeugt in der Tat sehr eindrücklich, wie weit die europäische Vision von Gottfried Wilhelm Leibniz an der Jahrhundertwende des 17. zum 18. Jahrhundert reichte und welchen ehrenwerten Platz er Russland darin zugedachte. 

Die wissenschaftlichen, kulturellen und historischen Leistungen Russlands und der Sowjetunion gingen weit über das hinaus, was Leibniz erahnen konnte. Sie sollten auch heute, im 65. Jahr der Wiederkehr des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg und im gemeinsamen Sieg der Alliierten Mächte über Hitlerdeutschland nicht gering geschätzt werden.

Ich erinnere an meine Gründe, die ich im vergangenen Jahr vortrug, als ich für den Vorstand des Vereins „Berliner Freund der Völker Russlands“ kandidierte. Und ich werde nicht müde, es Jahr um Jahr zu wiederholen: Wahre Völkerverständigung braucht Freundschaftsarbeit als ein hohes Gut der Friedenserhaltung zwischen den Völkern.

 

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Berlin, 13. März 2010                                                                                   Marga Voigt 

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